Geislingen brechen durch Gewerbesteuereinbußen Millionen im Haushalt weg. Oberbürgermeister Frank Dehmer verteidigt in unserem Sommerinterview dennoch die Ausgaben fürs Stadtmarketing.
Geislingen hat seit Jahren finanzielle Probleme; diese haben sich nun verschärft, seit bekannt ist, dass über drei Millionen Euro an Gewerbesteuereinnahmen wegbrechen werden. Ist es in diesen Zeiten noch gerechtfertigt, Geld für Marketingprojekte wie ein neues Stadtlogo oder einen Imagespot auszugeben?
Geislingen ist seit sehr langer Zeit nicht auf Rosen gebettet. Als ich angefangen habe, gab es 2014 gleich den Nachtragshaushalt von fünfeinhalb Millionen Euro. Dass nun in diesem Jahr erneut Einbußen von 3,7 Millionen Euro dazu kommen, ist natürlich alles andere als erfreulich. Das Stadtmarketingkonzept machen wir aber nicht als Spaßveranstaltung, sondern das Image der Stadt ist eines der Top-Themen, das im Mach5-Prozess von vielen Leuten als Defizit erkannt und benannt worden ist. Beschlossen wurden die Maßnahmen im Übrigen bereits vor den neuen Erkenntnissen. Wenn man das Image nachhaltig verbessern möchte, muss man irgendwann anfangen, etwas zu tun. Das Logo ist nur ein kleiner Mosaikstein, aber einer, der nach außen sichtbar ist und mit dem wir zeigen wollen: Wir sind eine frische und bunte Stadt, in der sich was bewegt.
Hätten Sie von den Gewerbesteuereinbußen gewusst, hätten Sie dann manches nach hinten verschoben?
Vom Marketingprojekt nicht. Klar sind 108.000 Euro für das Stadtmarketingkonzept viel Geld, sie verteilen sich aber auf drei Jahre. Umgerechnet ist das dann nicht so viel. Was wir damit auslösen möchten und was man mit dem Open-Air-Kino im Ansatz sieht, ist, dass es Leute aus der Stadt gibt, die sagen, Mensch, da bewegt sich was und ich bringe selber auch etwas auf den Weg.
Stichwort „Klavier“ in der Fuzo.
Ja, das ist ebenfalls ein Beispiel.
Hätte die Stadtverwaltung das Marketingkonzept nicht selbst entwickeln können?
Ich glaube, dass man bei einer solchen grundlegenden Arbeit manchmal jemanden von außen dazu nehmen muss. Fachlich hätte ich das vermutlich auch hinbekommen. Zum einen habe ich aber nicht die Zeit, ständig so dranzubleiben, wie man das tun muss, zum anderen bin ich natürlich auch ein Stück weit betriebsblind. Die Gruppe Drei hat schon in vielen Städten Positives bewirkt. Ich glaube, dass das bei uns auch funktioniert.
Ein Corporate Design, also ein einheitlicher Auftritt für eine Stadt ist marketingtechnisch nichts Neues. Hat man das in der Vergangenheit verschlafen?
Ja, wahrscheinlich schon. Aus diesem Grund bin ich ja zur Wahl angetreten: Weil ich das Gefühl hatte, dass zum Teil falsche Schwerpunkte gesetzt worden sind. Mein Vorgänger, Wolfgang Amann, hat den Bürgerbeteiligungsprozess Mach5 auf den Weg gebracht. Ich habe gesagt, dass dies nichts ist, was nach zwei Jahren vorbei ist, sondern was uns in der Zukunft begleitet. Wer, wenn nicht die Geislinger selbst sollen positiv über ihre Stadt sprechen?
Alle, die ich das erste Mal mit auf den Helfenstein oder in die Fuzo nehme, sind hin und weg von der Aussicht – egal, ob sie aus der Schweiz, aus Amerika oder Frankreich kommen. Wir nehmen dies als selbstverständlich hin, suchen das Haar in der Suppe und reden dann schlecht über unsere Stadt. Wie soll das nach außen wirken?
Das neue Stadtlogo wird in den sozialen Medien häufig kritisiert. Vielen fehlt der Geislinger Bezug. Was sagen Sie dazu?
Kritik ist ok, auch bei einem Logo, das zum Großteil Geschmackssache ist. Man hätte natürlich sagen können, man nimmt den Ödenturm oder den Helfenstein, aber einen Turm oder eine Burg haben viele Städte, das ist kein Alleinstellungsmerkmal.
Gefällt Ihnen das Logo?
Ja. Mir war es wichtig, dass wir ein Logo haben, mit dem man gestalterisch viel machen kann, sei es auf der Internetseite oder auf Flyern. Ich glaube, das ist uns ganz gut gelungen. Durch den Kreis, das Mühlrad, wirkt es freundlich, dynamisch. Und in den seltensten Fällen wird jemand bei einem Stadtlogo fragen, was es für eine Bedeutung hat. Je realistischer man so etwas gestaltet, wie das beim bisherigen Logo der Fall war, umso altbackener wirkt es.
Was sagen Sie zum Imagespot?
Den finde ich sehr gut. Wir hatten nicht viel Zeit und Glück, dass das Wetter mitgespielt hat. Das Video zeigt ein sympathisches Bild der Stadt und der Themen, die uns bewegen: den Helfenstein, die Natur, Einkaufen, Familien, Internationalität. Das einzige, was vielleicht noch fehlt, sind ein paar ‚Best Ager’, also Senioren, aber da könnte man mal noch eine Szene nachdrehen.
Was hat der Spot gekostet?
Genau kann ich es nicht sagen, aber ich glaube, er lag unter 3000 Euro.
Kommen wir nochmal zum Thema Gewerbesteuereinbußen: Wie kann es sein, dass Ihre Verwaltung davon überrascht wurde. War zu optimistisch geplant worden?
Nein, war es nicht. Die Gewerbesteuer wird ja immer anhand der Vorjahre fortgeschrieben und kann sich aktuell sehr ändern. Als wir vom Finanzamt Bescheid bekommen haben, war das überraschend und nicht vorhersehbar.
Am 14. September wird der Gemeinderat in einer Sondersitzung über Haushaltskürzungen diskutieren. Wo ist überhaupt Luft zum Sparen?
Alles, was noch nicht begonnen und in Auftrag gegeben worden ist, haben wir vorerst gestoppt – beispielsweise Straßen- oder Spielplatzsanierungen. Bei anderen Dingen war dies nicht mehr möglich. Darüber wird der Gemeinderat zu beraten haben, auch mit Blick auf 2017.
Sagen Sie konkret, wofür es kein Geld gibt? Stötten möchte ins ELR-Programm aufgenommen werden, die Tegelbergschule ruft schon seit Langem nach einer Erweiterung . . .
. . . die Pestalozzischule müsste saniert werden, Schulsozialarbeiter will man überall haben. Es gibt eine große Wunschliste.
Bekommen die jetzt alle zu hören: Tut uns leid, aber das können wir nicht finanzieren?
All solche Punkte sind natürlich in der Diskussion. Dinge, die nicht im Haushalts- und Finanzplan drinstehen wie die Tegelbergschule mit der Mensa oder Schulsozialarbeiter helfen uns gar nicht als Einsparpotenziale. Wenn wir diese Projekte umsetzen wollten, müssten wir bei den vorhandenen Projekten im Finanzplan und den künftigen Haushaltsplänen noch mehr streichen. Es ist Sache des Gemeinderats, darüber zu entscheiden. Für die Winterreutestraße in Stötten haben wir im Moment geplant, für das nächste Jahr wieder einen ELR-Antrag zu stellen. Das werden wir aber nur tun können, wenn uns das Regierungspräsidium (RP) bestätigt, dass wir den Eigenanteil der Mittel aufbringen können. Im letzten Haushaltserlass hatte das RP geschrieben, dass wir keine weiteren Schulden aufnehmen dürfen. Ich werde im Spätherbst in Stuttgart ausloten, wie fest dieser Ausspruch wirklich ist.
Bleibt es dabei, dass Sie nicht an die Rücklagen gehen wollen?
Doch, darüber werden wir natürlich auch sprechen müssen.
Ihr Kämmerer Bernd Pawlak sagte bislang aber, das stehe nicht zur Diskussion. Das ändert sich jetzt?
Ja. Zumindest für die kommenden Jahre aber hatten wir das auch schon so geplant.
In welchem Umfang?
Das kann ich heute noch nicht sagen. Das wird Thema am 14. September sein. Dann geht es zum einen ums aktuelle Jahr, aber perspektivisch bei den größeren Maßnahmen auch um den Finanzplanungszeitraum.
Was im Plan steht, wollen Sie aber durchziehen?
Ja, klar. Wir haben in Geislingen keine große Liste an „Nice to have“-Dingen, sondern es sind alles Dinge, die immer mit gutem Grund im Haushalt stehen. Wir könnten zum Beispiel sagen, wir verzichten auf die Sanierung des Alten Rathauses, weil da 1,1 Millionen im Haushalt stehen. Davon sind aber 780.000 Euro Fördermittel. Wenn ich diese Maßnahme streiche, bringt es mir unterm Strich ungefähr 300.000 Euro. Da bin ich noch weit weg von den 3,7 Millionen Euro. Man könnte sagen, es wäre ein Anfang, aber diese Mittel haben wir für das Alte Rathaus beantragt. Setzen wir diese Maßnahmen nicht bis Ende 2017 um, verfällt das Geld. Dann hat die Stadt 780.000 Euro verloren.
Das ist aber doch ein Totschlagargument, um nirgends den Rotstift ansetzen zu müssen.
Geislingen setzt fast nur Maßnahmen mit Drittmitteln um, weil wir sie sonst gar nicht machen können. Beim Alten Zoll sind die Fördermittel noch viel größer, die Quote nicht ganz so hoch. Es ist halt auch so: Wenn wir als Stadt Landtagsabgeordnete mit der Bitte anschreiben, uns bei den Fördermitteln zu unterstützen, und dann sagen, jetzt lassen wir die Mittel verfallen, dann weiß ich nicht, ob wir beim nächsten Projekt überhaupt nochmal bei ihnen mit der Bitte um Unterstützung ankommen können.
Es bleibt also bei der Sanierung von Altem Rathaus und Altem Zoll?
Wir werden es zumindest so vorschlagen. Im Vergleich dazu sehen wir beispielsweise bei der Tegelbergschule nicht das Potenzial, eine Mensa bauen zu können. Da muss man sagen, würden wir eine fast schon lächerliche Förderquote erhalten.
Das hilft den Schülern aber auch nicht.
Nein, das hilft ihnen nicht, und das macht solche Entscheidungen auch so schwer.
Wie geht es dann dort weiter?
Wir müssen eine Lösung finden, aber dafür erst einmal schauen, wie wir das finanzieren können. Alles in allem ist es keine einfache Situation, aber ich bin mir sicher, dass die Jahre 2017, 18 und 19 für die Stadt Geislingen irgendwann auch anbrechen und wieder vorbei sein werden.
Ein Millionengrab sind Sie demnächst los – sofern keine Überraschungen mehr kommen: das Michelberg-Gymnasium. Wie sehr haben Sie sich darüber geärgert, dass Ihnen Ihr Vorgänger, Wolfgang Amann, so ein Päckchen hinterlassen hat?
Herr Amann hätte die Entscheidung damals sogar verschoben, aber der Gemeinderat wollte das vor der Sommerpause beschließen, um keine Zeit zu verlieren. Den einen oder anderen Punkt hätte ich aber schon gerne nochmals diskutiert gehabt.
Das gesamte Konzept oder Details?
Teile des Konzepts.
Bezogen auf was?
Es war keine Frage, dass man das MiGy sanieren musste, aber für mich wäre schon die Frage gewesen: Muss man wirklich alles, was zu diesem Konzept gehört, umsetzen? Oder gibt es ein paar Punkte, die unkritisch sind und sich leichter umsetzen lassen? Man realisiert diese, hat vielleicht etwas weniger Energieertrag, aber dafür auch etwas weniger Risiko im Umbau. Da wir vorhin vom Haushalt gesprochen haben: Auf die fünfeinhalb und aktuell 3,7 Millionen Euro Einbußen bei der Gewerbesteuer kann man nochmals fünf Millionen draufpacken – dann sind wir ungefähr bei 14 Millionen, um die sich allein in diesen zwei Jahren seit meinem Amtsantritt der Haushalt durch das MiGy und die Gewerbesteuer verschlechtert hat.
Wird es für den Architekten ein juristisches Nachspiel geben?
Das werden wir auf jeden Fall versuchen. Wie lange sich das zieht und was dabei rauskommt, kann ich nicht vorhersagen, aber es gibt genügend Gründe, es zumindest zu versuchen. Das einzig Gute für uns ist, dass mit dem Anstieg der Baukosten nicht auch noch das Architektenhonorar mit angestiegen ist.
Sagen Sie bitte zu folgenden Themen, was Ihnen spontan dazu einfällt: Gewerbepark Schwäbische Alb.
Eine schwere Aufgabe für die nächsten Jahre.
Gründer- und Innovationszentrum.
Hoffentlich ein Projekt, das Geislingen einen positiven Schub verleiht.
B10-Weiterbau.
Mit neuem Bundesverkehrswegeplan wahrscheinlicher, aber wir sind noch nicht am Ziel.
Kaufland und Sonne-Center.
Sind beide wichtig für die Obere Stadt.
5-Täler-Bad.
Ich freue mich über die positive Entwicklung im vergangenen Jahr.
Campingplatz.
Für mich eine Lösung, die noch zu finden sein wird.
Helfenstein Klinik.
Sie ist gut für den Standort Geislingen, und hoffentlich noch lange hier.
Welche Schulnote würden Sie Geislingen geben? Wo steht die Stadt?
Wenn man die Entwicklung anguckt und nicht den Stand, würde ich eine 2-3 geben. Ich glaube, dass wir in den vergangenen anderthalb, zwei Jahren einiges auf den Weg gebracht haben, was für die Zukunft positive Impulse geben kann. Einige Dinge sind noch nicht so weit gediehen, wie ich mir das gewünscht hätte. Positiv wären beispielsweise größere Ansiedlungen im Gewerbepark oder, dass wir beim Gründerzentrum schon weiter wären. Daran müssen wir noch arbeiten. Erfreulich ist die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen: Da ist unsere Geschäftsstelle zweimal positiv aus dem Rahmen gefallen. Solche Meldungen habe ich ganz gern: Wenn man nicht nur die negativen Dinge über Geislingen liest.
Insgesamt habe ich aber in der Stadt und in den Sozialen Medien das Gefühl, dass sich im vergangenen Jahr etwas gedreht hat: Die Leute halten mittlerweile dagegen, wenn jemand schimpft. Das war früher anders. Sicher: Wenn wir mehr Geld hätten, könnten wir ein bisschen klotzen. Aber wir machen es mit unseren Möglichkeiten und versuchen, mit kleinen Schritten einiges voranzubringen.
Erschienen in der Geislinger Zeitung am 03.09.2016
Autor: Katrin Bulling
Link zum Artikel: http://www.swp.de/geislingen/lokales/geislingen/OB-Frank-Dehmer-Ausgaben-fuers-Stadtmarketing-sind-gerechtfertigt;art1223063,3989734